Die AfD macht dir Angst – Feministische Kämpfe
TEIL 2
Im folgenden Text wird eine feministische Perspektive auf die Bundestagswahl dargestellt, welche die Sichtweisen des OAT und der Rosen unterm Beton vereint.
Feministische Themen wurden in der Bundespolitik in den letzten Jahren vor allem für eines genutzt: Um rassistische Stereotype zu verbreiten und so eine rassistische Migrationspolitik zu rechtfertigen. Themen, die FLINTA* (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen) seit Jahren anbringen, ließen sich dagegen weniger gut instrumentalisieren und wurden dementsprechend vernachlässigt. Diese Funktionalisierung der eigenen Belange ist dabei für FLINTA* kein neues Problem, sondern verfolgt sie bereits seit Jahrtausenden.
Feminismus und Kapitalismuskritik gehen deshalb Hand in Hand, denn die Unterdrückung von FLINTA* ist kein zufälliges Überbleibsel vergangener Zeiten, sie folgt Strukturen, die in erster Linie zur Sicherung der weiblichen Verwertbarkeit entstanden sind. Ohne eine grundlegende Kritik an dieser Wirtschaftsordnung kann also feministische Politik nie ihr Ziel erreichen.
Es zeigt sich, dass die historisch gewachsene Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ein wesentlicher Bestandteil kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist. FLINTA* werden systematisch in unbezahlte oder schlecht bezahlte Care-Arbeit gedrängt, um die Arbeitskraft der Gesellschaft zu erhalten und zu reproduzieren. Dieser Mechanismus entlastet den Staat und das Kapital, während FLINTA* in finanzielle Abhängigkeit und prekäre Lebenssituationen gedrängt werden.
Dementsprechend bleibt Feminismus, der sich nicht mit Kapitalismuskritik verbindet, an der Oberfläche des Problems und kann nur Symptome, aber niemals die Ursachen der Unterdrückung bekämpfen. Ein wahrhaft emanzipatorischer Feminismus muss daher nicht nur Gleichberechtigung im bestehenden System anstreben, sondern das System selbst infrage stellen.
Aber wo stehen wir überhaupt gerade und was ist in den letzten Jahren politisch passiert?
Bestandsaufnahme
Partner:innenschaftliche Gewalt: Wenn wir über eine Bestandsaufnahme der letzten Jahre sprechen, müssen wir einen Blick auf häusliche Gewalt werfen: 2023 wurde beinahe jeden Tag eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland getötet, in ca. 70% davon im Rahmen von partnerinnenschaftlicher Gewalt. Femizide – also die Ermordung von Frauen, weil sie Frauen sind – haben in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Die Statistiken hierzu sind binär, sodass wir nichts über die Situationen von TINs (trans, inter und non-binären Personen) sagen können.
Diese steigenden Zahlen zeigen auch das Versagen der Politik dahingehend, FLINTA*s zureichend zu schützen. Frauenhäuser sind chronisch überfüllt, v.a. im ländlichen Bereich gibt es oft zu wenige. Nach Schätzungen deckt das aktuelle Angebot in Deutschland nur ein Drittel des eigentlichen Bedarfs ab.
Das kürzlich beschlossene Gewalthilfegesetz sieht zumindest ab 2027 eine gewisse Finanzierung vor, einen tatsächlichen Rechtsanaspruch auf Schutz vor Beziehungsgewalt gibt es aber erst ab 2032. An barrierearme Renovierungen lässt sich zudem mit den geringen Geldern gar nicht denken, sodass viele von Gewalt Betroffene zu den Notunterkünften keinen Zugang haben können. Dabei sind FLINTA*s mit Behinderungen noch deutlich häufiger von Gewalt betroffen als FLINTA*s ohne.
Das Selbstbestimmungsgesetz
Die Ampel-Koalition hat 2023 ein Gesetz verabschiedet, das für Schlagzeilen gesorgt hat: das Selbstbestimmungsgesetz (SBG).
Es ermöglicht trans, inter und non-binären Personen (TINs) ihren Geschlechtseintrag und Vornamen leichter ändern zu lassen.
Bisher mussten Betroffene dafür eine schier endlose Odyssee auf sich nehmen, waren auf das Wohlwollen von Behörden angewiesen und viel Diskriminierung ausgesetzt. Das SBG wurde von Union und AfD abgelehnt. Die Union befürchtete einen Missbrauch des Gesetzes, zum Beispiel durch leichtfertige Änderungen. Damit spricht sie TINs ihr Urteilsvermögen über die eigene Identität ab und pathologisiert ihre Existenz. Dass Transidentität keine psychische Erkrankung ist, hat die Psychologie und Medizin immerhin verstanden, als sie 2022 durch das Inkrafttreten einer neuen Klassifikation von Krankheiten „Transsexualität“ als Krankheit abschaffte.
Das SBG war ein wichtiger Schritt zum Schutz und Gleichstellung von TINs. Es gibt jedoch viele Punkte, die am aktuellen Gesetz zu kritisieren sind. Queere Verbände haben zahlreiche Kritikpunkte am aktuellen Gesetz, die nicht ignoriert werden dürfen.
„Werbeverbot“ für Abtreibungen – Paragraph 219a
Bis Sommer 2022 machten sich Ärzt:innen in Deutschland strafbar, wenn sie öffentlich, also z.B. auf ihren Websites, über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen aufklärten. Dies wurde als Werbung verstanden, was nach Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs verboten war. Ungewollt schwangere Personen stellte dies vor große Probleme, denn Schwangerschaftsabbrüche sind nur in den ersten zwölf Wochen straffrei. Es gibt nur wenige Praxen, die Abbrüche überhaupt durchführen – ohne die Möglichkeit öffentlicher Aufklärung war es für Betroffene daher oft schwer, diese zu finden. 2022 wurde der Paragraph 219a mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linken ersatzlos gestrichen. Die Anzahl an Abtreibungen ist seit der Streichung konstant geblieben. Studien über ein verbessertes Informations-angebot gibt es noch nicht. Umfragen besagen jedoch, dass seitdem mehr Ärzt:innen auf ihren Websites über die Durchführung informieren. Die Union und die AfD stimmten nahezu geschlossen für die Beibehaltung des Paragraphen. Dabei berufen sie sich auf den „Schutz ungeborenen Lebens“, welcher durch eine Aufhebung des , Werbeverbots‘ gefährdet sei. Sie lassen jedoch eine kritische Tatsache völlig außer Acht: Restriktive Abtreibungsverbote führen global betrachtet nicht zu einer geringeren Anzahl von Abtreibungen.
Stattdessen gehen Betroffene für die Abbrüche ins Ausland und die Anzahl an unsicher durchgeführten Abbrüchen steigt.
Schwangere müssen selbst entscheiden können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht.
Paragraph 219a zu streichen war also lange überfällig – jedoch nicht ausreichend. Mit Paragraph 218 steht Abtreibung l immer
noch neben Mord und Totschlag als Tötungsdelikt im Strafgesetzbuch. Abtreibung ist demnach in Deutschland immer noch illegal, nur eben bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straf-frei.
Die Sache mit dem Geld
Care-Arbeit wird gesamtgesellschaftlich weiterhin als Aufgabe von FLINTA*s verstanden. Unbezahlt organisieren sie den Haushalt und pflegen Eltern und Schwiegereltern. In Familien ohne Geld bleibt dies meist an den weiblichen Familienmitgliedern hängen. Reichere Familien bezahlen dagegen oft andere Personen (häufig FLINTA*s), die diese Aufgaben für geringen Lohn übernehmen. Aufgrund der Care-Arbeit arbeiten viele FLINTA*S in Teilzeit und sind damit meistens der schlechter verdienende Part in einer monogamen Beziehung. In einer Ehe greift in einem solchen Fall des ungleichen Einkommens das Ehegattensplitting – einfach erklärt: eine Steuerentlastung des Ehepaars auf Kosten der schlechter verdienenden Partnerin. Dies birgt für sie langfristig Gefahren in Form von Altersarmut durch geringere Teilnahme am Arbeitsmarkt. Bei Mehrarbeit steigen nämlich auch die Steuern, weshalb viele dauerhaft in Teilzeit bleiben. In den letzten Jahren wurde viel über Ehegattensplitting diskutiert, sowie über Anreize, Väter zu Elternzeit zu motivieren. Dadurch sollten FLINTA*s zu mehr Teilnahme am Arbeitsmarkt ‚motiviert‘ werden. Wir sehen jedoch die geringe Wertschätzung von Care-Arbeit als das zugrundeliegende Problem. Care-Arbeit wird nicht als Job verstanden, sondern als Tätigkeit, die sich einfach nebenher machen lässt. Dabei würden wahrscheinlich die meisten ihre Kündigung einreichen, wenn bei ihrer Lohnarbeit eine 24/7 Erreichbarkeit vorausgesetzt werden würde, inklusive schwerer körperlicher Arbeit.
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen also deutlich, dass Feminismus in Deutschland eben nicht überflüssig ist. Im Patriarchat kämpfen FLINTA*s jeden Tag um ihr Leben. Sie kämpfen für bessere Lebensbedingungen und die Anerkennung ihrer erschwerten Bedingungen, die cis Männer als „Privatsache“ abstempeln. Echte Gleichstellung ist im Patriarchat nicht möglich, es braucht eine Abschaffung des Patriarchats, Im Rahmen des bestehenden Systems stellen wir hinsichtlich der oben beschriebenen Missstände unsere Forderungen.
Unsere Forderungen
- Die Abschaffung von Paragraph 218: Wir fordern die Abschaffung von Paragraph 218, also die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dass die Durchsetzung körperlicher Selbstbestimmungsrechte mit Tötungsdelikten gleichgesetzt wird, ist nicht tragbar. Schwangere Personen werden hierdurch einem Stigma ausgesetzt, welches enorme psychische Belastungen, Anfeindungen und weitere reale Gefahren mit sich bringt.
- Mehr Geld für Gewaltschutz: Es braucht mehr Investition in Gewaltschutz und finanzielle Unterstützung von Notun-terkünften. Frauenhäuser benötigen eine zuverlässige und ausreichende Finanzierung, um Kapazitäten für alle Hilfesuchenden aufbringen zu können. Das Verwehren von Hilfe aufgrund mangelnder Barrierearmut (Rollstuhlgerechtigkeit, Sprachbarrieren, etc.) ist inakzeptabel. Das Gewaltschutz-konzept muss alle mitdenken.
- Politische Aufwertung von Care-Arbeit: Care-Arbeit muss aufgewertet werden. Darunter fassen wir Lohnersatzleis-tungen für pflegende Angehörige, ein flächendeckendes bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kinder sowie Maßnahmen, pflegende Berufe durch arbeitsrechtliche und finanzielle Anreize und Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung aufzuwerten.
- Abschaffung des Ehegattensplittings: Die staatliche Förderung ungleicher Einkommensverhältnisse muss enden.
- Antifeminismus entschieden entgegentreten: Wir fordern politische Bemühungen, Antifeminismus und patriarchalen Strukturen entgegenzuwirken. Konkret kann dies z.B. bedeuten, neue, scheinbar geschlechtsneutrale Gesetzesentwürfe vor Inkraftsetzung auf die tatsächlichen Konsequenzen für die verschiedenen Geschlechter zu prüfen.
- Weiterhin muss aber auch klar sein: Wir dürfen uns als FLINTA* nicht damit zufriedenstellen, unseren Kampf für Gleichberechtigung und Schutz an den Staat abzutreten. Wir müssen uns vernetzen und organisieren. Wir müssen füreinander eintreten. Nur wir selbst können uns befreien!
Um Antifeminismus entschieden entgegenzuwirken, braucht es auch den entschiedenen Kampf gegen die AfD als antifeministische Partei, denn die AfD sieht ein Familienbild zwischen Mann und Frau als die einzige Norm an. Mit unwissenschaftlichen Aussagen („Dabei braucht jedes Kind Vater und Mutter in der gesamten Kindheit.“) feinden sie offen gleichgeschlechtliche Beziehungen an. Die Existenz von trans Personen wird von der AfD verleugnet. Konkret möchte die AfD das SBG kippen und die Verschreibung von Pubertätsblockern verhindern. Diese können Jugendlichen Zeit verschaffen, bis sie sich bereit fühlen, die Entscheidung für geschlechtsangleichende Maßnahmen endgültig zu treffen.
Aus Studien wissen wir, dass die Suizidrate unter trans Jugendlichen besonders hoch ist; Geschlechtsinkongruenz kann eine große psychische Belastung darstellen. Die AfD gefährdet somit die Leben queerer Menschen.
Die AfD setzt sich einseitig für die Stärkung von Väterrechten ein. Der recht seltene Fall der Kindesentziehung durch Mütter wird zum Standardszenario aufgebläht, während die Vielzahl an Nachteilen, die alleinerziehende Mütter erleiden, kaum Beachtung finden.
Die antifeministische Ideologie der AfD ist im Wahlprogramm deutlich erkennbar, z.B. in der Behauptung, die bisherige Gleich-stellungspolitik gehe zu weit. Dass dies nicht der Fall ist, sondern es sogar noch viele Lücken gibt, haben wir bereits oben aufgezeigt.
Ehegattensplitting möchte die AfD beibehalten und ausbauen.
Abtreibungen steht die AfD restriktiv entgegen. Sie möchte Paragraph 218 beibehalten und Paragraph 219 wieder einführen.
Sie begründet dies damit, dass Schwangere sich häufig nur aufgrund äußeren Drucks zu Abtreibungen entscheiden würden.
Gleichzeitig sollen Beratungsstellen dazu verpflichtet werden, den Schwangeren Ultraschallbilder der Föten zu zeigen, um diese besser aufzuklären. Wir sehen dies als massives emotionales Unterdrucksetzen und damit als Doppelmoral. Der AfD geht es nicht um einen Schutz von Hilfesuchenden, sondern um ein Beschneiden der körperlichen Selbstbestimmungsrechte von
FLINTA*S.
Die AfD geht auf Rechte von FLINTA*s ansonsten nur im Kontext der sogenannten „Islamisierung“ ein. Frauen werden dabei als Opfer instrumentalisiert, die es vor muslimischen Männern zu schützen gelte.
Diese Strategie hat eine lange Tradition, doch mittlerweile dominieren die AfD und andere rechte Strukturen die sozialen Me-dien: Keine andere Partei oder politische Strömung erreicht derart viele Menschen. Dass dabei in vielen Reels Alice Weidel als Frau selbst antifeministische Hetze verbreitet, beflügelt die Partei weiter, ganz nach dem Motto „wir können gar nicht gegen Frauen sein, wir haben doch selbst eine an der Spitze“.
Fakt ist jedoch: Frauen leiden unter dem Patriarchat und der daraus resultierenden Gewalt gegen sie. Die AfD zeigt keine Be-strebungen, dieser Gewalt angemessen zu begegnen.
Die AfD ist in ihren Grundwerten antifeministisch und undemo-kratisch. Sie schadet und gefährdet FLINTA*s, Darüber hinaus verbreitet sie ein menschenfeindliches Weltbild geprägt von Sexismus, Rassismus, Klassismus, das mit unseren Grundwerten nicht kompatibel ist.
Die AfD stellt nicht nur eine Gefahr für feministische Bewegungen dar, sondern für jede Form von progressiver Politik. Sie strebt den Abbau von Frauenrechten an und duldet oder befördert Gewalt gegen FLINTA*, indem sie Schutzmaßnahmen ablehnt und Betroffene diffamiert.
In Parlamenten und auf der Straße arbeitet sie mit anderen rechten Kräften zusammen, um feministische Strukturen zu unterwandern und gezielt anzugreifen.
Auch deswegen können feministische Kämpfe nicht isoliert geführt werden. Der Kapitalismus wird uns keine Gleichberechtigung schenken.
Die AfD und andere rechte Strukturen versuchen gezielt, unsere Errungenschaften rückgängig zu machen. Wir dürfen also nicht nur auf Reformen hoffen, sondern müssen uns zusammenschließen, gemeinsam kämpfen und laut sein.