Chronik: Von Querdenken über die „Offene Gesellschaft Kurpfalz“ zu den Spaziergängen – eine kurze Historie der Corona-Paranoia in und um Mannheim

Die Bewegung derer, die mit paranoiden Halbwahrheiten und gefährlichen Lügen für eine individualistische statt einer solidarischen Pandemiebekämpfung auf die Straßen und Plätze gehen ist nun mittlerweile auch zwei Jahre alt geworden.

Das ursprünglich in Stuttgart gegründete Label „Querdenken“ hatte bereits im Mai 2020 auch einen Ableger in Mannheim. Nach der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 versammelten sich unter „Querdenken621“ bei einer ersten Kundgebung in Mannheim mehrere hundert Menschen auf dem Marktplatz. Die Stimmung war nach dem Lockdown, der für uns alle zwar der erste war, aber nicht alle gleich hart getroffen hat, entsprechend aufgeheizt. Ihren Anteil daran hatten sicher auch die vertretenen Rechten von AfD bis NPD, Anhänger*innen diverser Verschwörungserzählungen oder Menschen mit Umsturz- und Bürgerkriegsphantasien, die berechtigte Ängste von Menschen in dieser unsicheren Zeit für sich instrumentalisieren wollten.

Das Ausmaß hat uns als Antifaschist*innen zunächst erschreckt, aber sicher nicht überrascht, da wir auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft eine Zunahme rechter Ideologien schon lange beobachten. Diese sollten in der Pandemie schließlich weiter verbreitet werden, während ein solidarischer und kritischer Umgang mit der Pandemie für uns als Linke erst erarbeitet werden musste, wenn von den vielen antikapitalistischen Anknüpfungspunkten mal abgesehen wird, die seit je her Bestandteil linker Kritik sind und auch in der Pandemie ihre Geltung nicht verloren haben. Eher im Gegenteil.

Auf einer weiteren größeren Veranstaltung auf dem Hof des Mannheimer Schlosses unter beispielhafter Beteiligung eines bekannten Holocaustleugners oder anderer rechter Agitator*innen wurde dann deutlich klar, dass die Abgrenzung nach rechts entweder aus taktischen Gründen nicht erfolgte, weil insgeheim auf deren politische Kraft gesetzt wurde oder weil nach innen und außen entgegen jegliche Tatsachen verleugnet wurde, dass eine Manipulation durch Rechte überhaupt stattfinde. Denn sich manipulieren zu lassen und nicht kritisch nachzudenken, das machen ja nur alle anderen, aber keine „Querdenker“.

Nachdem dann aber der Funke in Mannheim nicht gänzlich auf die angeblich hinter Querdenken stehenden Masse überspringen wollte und auf den seit Juli 2020 wöchentlich stattfindenden Kundgebungen auf dem Marktplatz immer weniger Beteiligung zu sehen war beschränkte sich die Aktivität im Spätsommer auf Picknicks im Luisenpark oder Radtouren durch die Innenstadt. Mobilisiert wurde hauptsächlich in andere Städte oder zum gemeinsamen Kerzen anzünden.

Dies hatte immerhin den Erfolg, dass zumindest in Mannheim viele Rechte der Bewegung nach außen hin den Rücken gekehrt und ihre Agitation verstärkt ins Netz verlagert haben. Dort wurde allmählich der Ton rauer und die Forderungen nach einem härteren Vorgehen lauter, da der Schwung aus dem Sommer verlorenzugehen drohte, ohne dass es wirklich zu politisch wirksamen Momenten gekommen ist.

Durch die Pandemiemaßnahmen der zweiten und dritten Welle im Winter 2020/202 verlagerte sich die Bewegung dann wieder vermehrt in ihre digitale Parallelwelt, wo innere Streitigkeiten Gruppen spalteten, einige Mitstreiter*innen sich allmählichen die Passivität verabschiedeten, weil ihnen der verbreitete Irrsinn allmählich wohl selbst zu widersprüchlich wurde. Wieder andere stürzten sich in ihrem Wahn und zunehmender Radikalität noch verbissener in ihre Aufgabe die fast schon fanatisch herbeigewünschte Impfdiktatur zu verhindern. Jetzt aber wirklich! Hierbei offenbarte sich, dass die rechte Agitation und tägliche Beschallung mit Lügen und bewussten Falschdeutungen in den Echokammern hunderter Messenger-Gruppen, in denen von Tante Gabi bis zum organisierten Nazi- Kader alle mitreden durften, ihre Wirkung zeigte.

So wurde der Schütze von Idar- Oberstein auch in der Mannheimer Gruppe, ganz nach den bekannten rechten Deutungsmustern, entweder zum verwirrten Einzeltäter abgestempelt, für den die vielen friedlichen Menschen doch nichts können, oder gleich zum inszenierten Komplott verklärt, welches die Bewegung in Verruf bringen soll, um gegen sie vorgehen zu können.

Während der Großteil der Bevölkerung mit zunehmendem Tempo der Impfkampagne und weiterhin bereit für eine Aussicht auf das Ende der Pandemie gewisse Beschränkungen in Kauf zu nehmen, immer weniger Verständnis für die Corona- Paranoiker zeigte, verfestigten diese ihr Weltbild und schotteten sich immer weiter ab, um sich dann selbst zu Ausgeschlossenen zu verklären.

In Mannheim wurde weiterhin auf die Mobilisierung zu anderen Veranstaltungen gesetzt, sodass es im Sommer 2021 kaum zu nennenswerten Aktivitäten kam. Zwar habe sich ein Gruppe wöchentlich in Neckarau getroffen, aber zu mehr habe es, vermutlich wegen Urlaub, oder einfach schönen Wetters, dann doch nicht gereicht. Anderthalb Jahre im Widerstand gegen Diktatur und Weltverschwörung sind zugegebenermaßen auch anstrengend. Außerdem war ja auch noch Wahljahr und ein Teil der Kräfte floss in die mittlerweile zur Partei gewordene Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse und des solidarischen Umgangs mit der Krise.

Nachdem die Bundestagswahl doch nicht das erwünschte Ergebnis für diese brachte und gleichzeitig eine vierte Corona-Welle für den Herbst 2021 prognostiziert wurde, da u.a. die Impfquote leider noch nicht ausreichend hoch war, wurde sich auch in Mannheim wieder gerüstet. Auch dort sind die Rufe nach einem radikaleren Widerstand in den vergangenen Wochen lauter geworden.

Während deutschlandweit und zum großen Teil von der organisierten Rechten angetriebene „Spaziergänger*innen“ im Spätherbst 2021 in die Schlagzeilen gerieten, agierte die Mannheimer Gruppe zunächst etwas zurückhaltend. Eine neue Telegram- Gruppe namens „Freie Pfälzer“, welcher auch organisierte Rechte zugeordnet werden können, hat dann Anfang Dezember schließlich die Initiative ergriffen und den Anschub für die ersten Spaziergänge der Region gegeben.

In Mannheim fand die erste, von mehreren Gruppen geteilte, Veranstaltung am Montag den 13.12. statt. Mehrere hundert Menschen haben sich zunächst um den Wasserturm versammelt, bevor sie gemeinsam in die Planken vordringen wollten, was durch massives Polizeiaufgebot verhindert werden sollte. Das ganze endete in einem ca. zwei Stunden andauernden Katz- und Maus- Spiel durch die Quadrate und entlang des Ringes bei dem die etwa 700-800 Teilnehmer*innen überwiegend planlos, aber doch auf ihre Weise effektiv durch die Innenstadt zogen. Trotz der erkennbaren Aktionsbereitschaft blieb die politische Wirkung auf Grund mangelnder Artikulationsformen und Inhalte jedoch auf der Strecke.

Eine Woche später versammelten sich zwar erneut mehrere Hundert Menschen, jedoch deutlich weniger als in der Vorwoche. Dafür waren junge und aktionsbereite Teilnehmer auffälliger und auch die Konfrontation mit der Polizei wurde aggressiver geführt. So gelang es einigen immer wieder Polizeiketten zu durbrechen und an mehreren Orten in der Innenstadt Böller zu zünden. Eine Entwicklung, die es auch rechten Akteuren leichter macht, wieder den Anschluss an die Bewegung zu finden.

Von einer Führerschaft rechter Akteure war zu diesem Zeitpunkt in Mannheim jedoch nicht auszugehen und den Großteil der Veranstaltung machten zwar schräg, aber eher harmlos wirkende Menschen aus. Zudem schien die Außenwirkung politischer Inhalte sehr begrenzt, weswegen wir uns als Offenes Antifaschistisches Treffen zunächst entschlossen haben, die Veranstaltungen zu beobachten und keine direkte Gegenveranstaltungen zu organisieren, die auf Grund der kaum zu planenden Dynamik ohnehin nur schwer mit der notwendigen Zielführung und Effektivität, aber auch Sicherheit unserer Mitstreiter*innen, durchgeführt hätte werden können.

Über die Weihnachtsage und den Jahreswechsel hinweg sei die Anzahl der Teilnehmenden dann auch erwartungsgemäß zurückgegangen, sodass die mittlerweile von der Versammlungsbehörde per Allgemeinverfügung verbotenen Spaziergänge etwas an Dynamik verloren haben. Am 10.01.22. entfiel die Veranstaltung dann komplett, da mehrere Gruppen der Corona-Paranoiker kurzfristig nach Schwetzingen mobilisiert hatten.

Eine am 09.01.22 durchgeführte Kundgebung der sogenannten Offenen Gesellschaft Kurpfalz auf dem Mannheimer Marktplatz wurde von ca. 200 Menschen besucht, welche aber eher passiv den auf Erzählungen der vermeintlichen Expert*innen von der Bühne lauschten. Ein Transparent, welches Menschen ohne Impfung in Deutschland mit den Opfern des Apartheid- Regimes in Südafrika gleichsetzte bot ein passendes Bild zu den kruden Thesen, die hier vertreten wurden.

Ein weiterer Spaziergang fand schließlich am 17.01. statt, wobei von einer Teilnehmer*innenzahl von etwa 250-300 auszugehen ist. Das Vorgehen hierbei wirkte schon deutlich koordinierter als die Wochen zuvor, aber trotz eines geringeren Polizeiaufgebotes gelang erneut keine nennenswerte Kundgabe eines politischen Ausdrucks, geschweige denn von Inhalten. Zwar war das Feld der Teilnehmenden erneut jünger und etwas homogener organisiert als in den Wochen zuvor, aber bekannte rechte Akteure blieben nach derzeitigen Erkenntnissen weiterhin unauffällig.

Gleichzeitig hatte die Offene Gesellschaft auf den Toulon-Platz vor dem REM mobilisiert, wo etwa weitere 100 Personen anzutreffen waren, die jedoch eher abgeschottet von der Öffentlichkeit ihre übliche Kassette aus Verschwörungsmythen Wissenschaftsleugnung/ -Feindschaft runtergespult haben.

Ebenjene offene Gesellschaft hat nun für den kommenden Montag den 23.01.22 einen Aufzug samt Abschlusskundgebung vom Ehrenhof des Schlosses aus angemeldet. Auf Grund des offiziell angemeldeten Aufzuges der Corona- Paranoiker durch die Innenstadt ist damit zu rechnen, dass sich möglicherweise Synergie-Effekte mit den üblichen Spaziergänger*innen ergeben und mit einer erhöhten Teilnahme zu rechnen ist, was die Veranstaltung auch für die Rechte wieder attraktiver macht.

Sosehr wir grundsätzlich Kritik am Regierungshandeln gutheißen und auch die persönliche Entscheidung gegen eine Impfpflicht völlig vertretbar ist, sollten wir uns jedoch konsequent dagegenstellen, wenn dies mit Lügen, paranoiden Vorstellungen und egoistischen sowie teils menschenverachtenden Scheinargumenten vorgebracht wird. Denn rechtes Gedankengut ist auch dann gefährlich, wenn es von „Nichtrechten“ übernommen und weitergegeben wird.

Das Offene Antifaschistische Treffen Mannheim hat sich deshalb dazu entschlossen zeitgleich eine Kundgebung vor dem Stadthaus N1 zu veranstalten, um diesem Aufzug mit solidarischen Forderungen und linken Inhalten auf die Pandemie zu begegnen und damit ein Gegengewicht zu bilden sowie mit den Menschen in der Innenstadt in Kontakt zu kommen.

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