Unser Redebeitrag zur Hanau-Gedenkkundgebung
„Drei Minuten sollten die Redebeiträge für die heutige Veranstaltung sein, wurde uns mitgeteilt.
Drei Minuten haben dem Täter von Hanau vermutlich ausgereicht mehrere Menschen zu töten und
ganze Familien damit in tiefe Trauer zu stürzen.
Drei Minuten werden niemals ausreichen das unendliche Leid zu beschreiben, was am 19.Februar
2020 über die Familien und Freund*innen der Getöteten gebracht wurde.
In drei Minuten ließen sich jedoch einige unbequeme Fragen ansprechen, die mit dem
rechtsterroristischen Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 zusammenhängen
Wie kam es, dass der Täter Schusswaffen besitzen konnte obwohl er mehrfach bei der
Staatsanwaltschaft mit Aussagen aufgefallen ist, die eine Gefahr nahelegen?
Wieso war an einem Tatort der Notausgang verschlossen?
Wie kann es sein, dass ein Großteil des in dieser Nacht sich im Einsatz befindlichen SEK- Beamten
Rassisten waren?
Wieso wurde politisch nicht alles getan um Taten wie solche zu verhindern, obwohl
Antifaschist*innen immer wieder auf die rechte Bedrohung hingewiesen haben, wofür sie oft selbst
ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten?
Für die Fragen, die wir hier stellen wollen, soll jedoch etwas anderes im Vordergrund stehen.
Und zwar die zu solchen Ereignissen immer gern herangezogene Phrase, dass WIR ALLE mit einem
solchen Anschlag gemeint seien. Diese Behauptung mag zwar gern in solidarischer Absicht getätigt
werden, bei genauerer Betrachtung hält sie der Realität jedoch nicht Stand.
Gehen WIR ALLE etwa mit einem mulmigen Gefühl nach Hause, wenn wir auf Grund unserer
Hautfarbe beleidigt, bedrängt oder auch nur gezielt angestarrt wurden?
Fühlen WIR ALLE uns angesprochen, wenn in Medien von Clan-Kriminalität die Sprache ist und Shisha
Bars darin nur im Zusammenhang mit Polizeirazzien vorkommen?
Haben WIR ALLE bisher überwiegend schlechte Erfahrungen mit der Polizei oder anderen
Sicherheitsorganen gemacht, weil wir nicht aussehen wie die Beamten selbst?
Stehen WIR ALLE auf Feindeslisten mit Menschen die Rechte am liebsten tot sehen oder wenigstens
nicht hier in Deutschland oder Europa wollen?
Machen WIR ALLE uns Gedanken darüber wie sicher es in Deutschland noch ist, wenn an einem
jüdischen Feiertag eine Synagoge angegriffen wird?
Sind wirklich WIR ALLE gemeint, wenn in Hanau neun Menschen erschossen werden, die nicht
Thomas Müller oder Julia Maier heißen?
Womit WIR ALLE allerdings gemeint sind, ist die richtigen Schlüsse aus dem rechten Terror zu ziehen:
WIR ALLE können und müssen uns dafür einsetzen Rechte aus Machtpositionen zu verdrängen und
fernzuhalten. Ob in Parlamenten, Unternehmen, in Bildungseinrichtungen oder auch auf der Straße.
WIR ALLE müssen den Druck auf Sicherheitsorgane erhöhen sich entweder an einem Schutz für alle
zu orientieren oder sie abzuschaffen.
WIR ALLE müssen gesellschaftliche Verhältnisse bekämpfen, die Menschen in ökonomischer
Ausbeutung und gegenseitiger Konkurrenz gefangen hält.
WIR ALLE können uns für ein Bildungssystem einsetzen, das migrantische und arme Kinder nicht ihrer
Perspektiven beraubt.
WIR ALLE können uns dafür einsetzen, dass Steuergelder nicht in einen sogenannten
Verfassungsschutz und staatliche Überwachung fließen, sondern in politische Bildung.
WIR ALLE können uns dafür einsetzen und fordern, dass Migrant*Innen wählen dürfen, um das Land
in dem sie leben, mitzugestalten.
Ob sich Taten wie die vom 19. Februar 2020 in Hanau verhindern lassen? Eine ehrliche Antwort muss
wohl lauten, nicht unter den herrschenden Verhältnissen. Warum trotzdem Hoffnung besteht, dass
die Liste der jährlichen Gedenktage nicht immer größer wird? Weil sich Verhältnisse ändern lassen.
Und dies anzugehen, damit sind WIR ALLE gemeint.“